Es ist diese Zeit im Jahr, in der ich permanent nur staunen kann. Geht es dir da auch so?
Nachdem die Blätter im Frühling gesprossen und über die Sommermonate in ihre volle Kraft gewachsen sind, verändern sie im Herbst ihre Farbenpracht und jeder Tag sieht anders aus, bunt und warm. Und dann, wenn sie so weit sind, lassen sie los und segeln zufrieden zu Boden, bevor es in den Winter geht, in dem die Pflanzen ruhen, um für den nächsten Jahreszyklus Kraft zu sammeln.
Der Herbst ist eine wunderschöne Zeit, in der wir den Wandel der Natur, das Zurückziehen der Kräfte und das Loslassen beobachten können. Auch in uns können wir diese Qualitäten beobachten. Im Naturbeispiel verabschieden wir uns mit freudigen Blicken von all dem Wachstum, der Blüte, der Kraft sowie dem Licht und ernten das, was wir gesäht haben. Weil wir wissen, dass dies ein natürlicher Rhythmus der Natur ist, den sie braucht, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzublühen.
Warum aber fällt es uns so schwer, diesen Energiewandel in uns anzuerkennen und ihn mit freudigem Blick willkommen zu heißen? Stattdessen sehen wir niedrige Energie und das Bedürfnis, sich zurückziehen zu wollen eher als Schwäche an.
Wäre es nicht nur fair, uns selbst gegenüber anzuerkennen, dass nicht nur die Natur ihre natürlichen Phasen von Aufblühen zu Kraft & Dynamik, zum Rückzug & Loslassen bis hin zur Zeit der vollkommenen Ruhe, durchläuft, sondern auch wir als Menschen?
Warum es uns schwerfällt, den Herbst auch in uns zu lieben
Ich bin mir sicher, dass auch du diesen Wandel in dir spürst. Mal bist du voller Energie und mehr nach außen und der Zukunft entgegen gerichtet. Dann wiederum gibt es Phasen, in denen du mehr nach innen und zurück zu deinem Ursprung strebst.
Leider fällt es uns oft so einfach, die hohe und aktive Energie, den Austausch, den Glanz, die Kraft und Extravertiertheit anzuerkennen und zu lieben, während wir gleichzeitig die Phasen der niedrigen Energie, der Trägheit und des Zurückziehens eher missbilligen.
Einfluss von Erziehung und Gesellschaft
Unsere Erziehung und die Gesellschaft tragen dazu ihr Übriges bei. Wir leben in einer Welt, in der es absolut normal ist, ständig mehr als 100% zu geben, in der der Begriff Burnout scheinbar höher angesehen wird als eine Depression bzw. depressive Episode – klar, ausgebrannt von der vielen Arbeit zu sein bedeutet schließlich auch, viel gearbeitet zu haben. Wir leben in einer Welt, in der es mehr Credit dafür gibt, viel zu erreichen, vor Kraft und Stärke zu strotzen, mitzuhalten und zu überholen, anstatt mal einen Gang runterzufahren und langsamer zu werden. Im sozialen Umfeld kommt es gut an, zu lächeln und gut drauf zu sein, während, unsere Traurigkeit und Trägheit preiszugeben, sich eher nach Schwäche anfühlt. Wir erledigen möglichst viel in kurzer Zeit und dabei unterstützen uns Digital Devices sehr gut. Bestmöglich sind wir permanent erreichbar und fühlen uns dabei schon schlecht, wenn wir mal nicht binnen eines Tages eine Antwort abliefern, sei es auf berufliche oder private Nachrichten.
Erwartungen loslassen & seelisch regenerieren
Wir müssen jedoch eingestehen, dass auch wir unterschiedliche Phasen in uns tragen und, dass eine spürbar niedrige Energie, Müdigkeit, Trägheit, das Bedürfnis nach innerem Rückzug und Ruhe absolut normal sind. Und nicht nur das, sie sind unglaublich wichtig!
C. G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, beschreibt, dass die Progression (Voranschreiten, Anpassung an Gegebenheiten, Weiterentwicklung) immer im Wechselspiel mit der Regression (Rückkehr, Rückzug, Rückgang) stattfindet. Beide Qualitäten sind wesentlich für unsere psychische Energetik und Gesundheit. Persönliche Weiterentwicklung wollen wir alle, aber sie braucht auch Phasen der seelischen Regeneration. Es ist ein auf und ab, ein vor und zurück. Völlig normal und absolut wichtig für uns.
Im Einklang mit den natürlichen Rhythmen des Lebens
Wir können nicht drum herum, als anzuerkennen, dass wir nicht getrennt von der Natur sind sondern Teil von ihr. Unser Körper ist mit seinen körperlichen und emotionalen Vorgängen quasi ein Mikrokosmos, ein Miniaturformat des übergeordneten Makrokosmos. Hört sich das erstmal seltsam für dich an?
Dann passt dieser Gedanke vielleicht besser: Die Jahreszeiten, die wir in der Natur so gerne bestaunen, gibt es auch in uns. Wir können sie in uns spüren. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber auf jeden Fall irgendwann, wenn wir versuchen, uns selbst bewusster zu erkennen.
Spüre den natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten IN DIR:
1. Deine Energie schwankt innerhalb der 4 Jahreszeiten: und das ist vollkommen normal.
So legt sie sich in der Herbstzeit und du hast mehr Freude daran, es dir gemütlich zu machen, genießt die ruhige Zeit, ziehst dich zurück, bist müder und vielleicht sogar auch emotional mehr mit deinem Innenleben beschäftigt. Im anschließenden Winter nimmst du nicht nur die absolute Stille der in Schnee eingehüllten Landschaften wahr, sondern auch die Stille in dir. Du ruhst und schöpfst Kraft für den nächsten Zyklus. Wenn der Frühling kommt, kommen auch deine Kräfte langsam zurück und du erblühst wieder, bis du dann im Sommer eine aktivere, stärkere und mitreißendere Energie in dir spürst.
2. Zudem kannst du die Veränderung deiner Energie innerhalb des 4-wöchigen Mondzyklus spüren.
Nach dem Neumond, der mit seiner kompletten Dunkelheit dem Winter zugeordnet werden kann, nimmt der Mond langsam zu, was mit der aufblühenden Energien des Frühlings gleichzusetzen ist. 2 Wochen nach Neumond ist der Mond in seiner Fülle zu sehen, was dem Höhepunkt der Energie und dem Sommer in dir entspricht. Im Anschluss nimmt er wieder ab, genauso wie die Energie, denn es geht in den Herbst. Diese Verbindung nehmen viele sehr deutlich wahr, können in Vollmondnächten aufgrund der aufwirbelnden Energie weniger gut schlafen und beim abnehmenden Mond leichter reflektieren und gedanklichen Ballast loslassen. Andere wiederum nehmen den Einfluss des Mondes nicht/kaum wahr. Wie ist das bei dir? Hier empfehle ich ein Mondzyklus-Buch. Schreibe auf, wann und warum dir diese Verbindung auffällt, um dich mit dem natürlichen Rhythmus zu verbinden.
3. Das bewusste Erleben deines Menstruationszyklus ist eine weitere Möglichkeit, den Makrokosmos in Miniaturformat in dir zu spüren.
Wenn du menstruierst (bzw. wenn du es könntest, aber es derzeit nicht tust), kannst du diese jahreszeitliche Energieverlagerung auch während deines Zyklus spüren. Der Zyklus beginnt mit der Blutung, welche energetisch dem Winter zugeordnet wird. Deine Energie ist niedrig und du sehnst dich nach Ruhe. Durch die Menstruation beginnt ein neuer Zyklus, in dem du Kraft sammelst, um sie für deinen Frühling (die Zeit nach der Blutung) bis zum Energiehöhepunkt, also die Zeit des Eisprungs, deinem innerlichen Sommer, bereitzustellen. Der Herbst entspricht dann der prämenstruellen Phase, also der Phase vor deiner Menstruation. Hier geht es auch darum, dich zurückzuziehen, zu reflektieren und loszulassen. Das Loslassen wiederum zeigt sich körperlich sehr deutlich anhand deiner Menstruation, mit der du wieder im Winter angekommen bist.
Da ein Menstruationszyklus in etwa gleich lang ist wie der Mondzyklus, kann es sehr wertvoll sein, für sich herauszufinden, wie sich dein körperlicher Zyklus zu dem des Mondes verhält.
Wie kann ich meinen Alltag herbsttauglich gestalten?
Geh mit dir jetzt ganz achtsam um und gib dir die Gelegenheit, herauszufinden, wie deine Energie und nach was dir gerade ist. Wenn du mehr auf Rückzug und Loslassen eingestellt bist, dann solltest du dir das auch geben, anstatt mit deiner Energie so hauszuhalten wie in den Sommermonaten.
Was darf’s heute sein?
Mehr Erdung im Herbst: Koche saisonal, um den Herbst auch in der Küche riechen und schmecken zu können, warme Speisen und Suppen sind jetzt ideal, um die erdende Kraft des Herbstes zu verinnerlichen. Mein Lieblingsrezept für eine herbstliche Kürbissuppe findest du auf mitbauchgefuehl. Genieße nährende Herbstspaziergänge und das Knirschen der Laubblätter unter deinen Füßen.
Zurückziehen: wenn das deiner momentanen Natur entspricht. Werde dir gerecht, indem du Selbstliebe in den Fokus nimmst und nur das tust, wonach dir ist. Du musst niemandem anderen gefallen. SchaffeAuszeiten und Ruheoasen, füll dir eine heiße Badewanne voll und verabschiede dich von Verpflichtungen und Terminen, die dir nicht guttun. Sei ganz ehrlich mit dir.
Reflektieren: Der Herbst eignet sich perfekt dafür, Stift und Papier zu zücken, um deinen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Um dir Unbewusstes, bewusst zu machen. Um deine Samen zu reflektieren, die du im letzten Zyklus gesäht hast und alles, was du jetzt ernten kannst. Notiere dir deine Stimmung, deine Sehnsüchte, körperliche Empfindungen, Glaubenssätze, die sich auftun...
Loslassen: Wenn du achtsam mit dir umgehst, kannst du deinem Herzen lauschen und dir bewusst darüber werden, was du gehen lassen möchtest. Glaubenssätze, Erwartungen an dich selbst, veraltete Verhaltensweisen… Mach ein kleines Ritual daraus und schreibe all das auf einen Zettel, den du anschließend verbrennst, um es ganz bewusst gehen zu lassen.
Yoga im Herbst
In unseren Yogaeinheiten wiederhole ich oft, dass jeder Tag anders ist und wir uns deshalb an jedem Tag erneut die Frage stellen dürfen: was darf’s heute sein? Was herrscht also gerade für eine Energie, Stimmung und Emotion in dir? An manchen Tagen gelingt es uns einfacher, diese Verbindung aufzubauen, an anderen wiederum ist es schwieriger. Aber glaube mir: du wirst dir durch eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis immer näherkommen.
Nimm Kraft raus und lass es ruhiger angehen
Lass den Anspruch an dich los, immer ein energiegeladener Roboter sein zu müssen. Nur weil du gestern on fire warst und 108 Vinyasas durchfließen hättest können, bedeutet das nicht, dass es heute auch so ist. Erlaube dir daher, deine Yogapraxis an den Moment anzupassen: nimm Kraft raus, indem du Vinyasas auslässt, die Knie im Chaturanga sowie in Stützpositionen absetzt, oder dich in die Kindesposition begibst. Halte die Asanas etwas länger, ohne von einer zur anderen zu hetzen.
Stärke die Yin-Qualität in dir
Vielleicht spürst du deutlich in dir, dass du sanfter mit dir umgehen, dir mehr Ruhe eingestehen und auch mal der Passivität Raum geben willst. Dann könnte eine nährende und entspannende Praxis wie Yin Yoga etwas für dich sein.
Erdende Asanas
Vorbeugen wie die stehende oder ganze Vorwärtsbeuge (Uttanasana) oder die Kindesposition (Balasana) fördern den Blick nach innen. Sie wirken beruhigend und schutzgebend. Wir können uns darin hingeben und loslassen.
Stehende Asanas wie der Berg (Tadasana) kreieren eine starke Verbindung mit der Erde, ebenso Balancehaltungen wie der Baum (Vrkasana) und der 3. Krieger (Virabhadrasana III). Spüre dabei die Füße bzw. den Fuß des Standbeins fest mit dem Boden verbunden und stell dir vor, du selbst würdest Wurzeln bis tief in die Erde hinein bilden.
Asanas zum Loslassen
Hüftöffner eignen sich hierfür perfekt. Die Hüfte ist ein Körperbereich, in dem wir viele Emotionen, verdrängte Erlebnisse und Erinnerungen speichern, weshalb dich die Öffnung dieses Bereichs auch beim mentalen Loslassen unterstützt. Dabei können übrigens Emotionen freiwerden, die dich überwältigen. Lass sie zu und lass sie gehen. Asanas wie der Schmetterling (Baddha Konasana), der gleichzeitig auch als Vorbeuge genutzt werden kann, die tiefe Yogahocke (Malasana) oder die Taube sind ideale Hüftöffner.
Nun habe ich so viel geschrieben und lasse ich es hiermit gut sein, damit all das bei mir auch sinken kann. Ich wünsche mir für dich, dass du dir gerecht wirst, indem du deinem natürlichen Rhythmus erkennst und ihn lebst.
Lass mich wissen, was du von den Impulsen hier in dein Leben lassen möchtest oder ob es etwas gibt, worauf ich auch bei einem nächsten Blogpost genauer eingehen sollte.
Von Herzen, Cora
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